Socherl

Karte

Ich möchte meine Kenntnisse über ein Dorf weitergeben, dessen tschechische Einwohner nach 1938 weder enteignet noch vertrieben wurden, obwohl sie erst nach 1918 dort angesiedelt wurden. Die "Neusiedler" wurden allgemein Kolonisten genannt. Diesen Ausdruck, er war nicht abwertend gemeint, habe ich auch in Büchern gefunden.

Ich möchte das nicht generell kommentieren, sondern diesen Fall für sich stehen lassen. Zweifler können nachprüfen, ob es wahr ist. Die sogenannten Kolonisten leben noch immer dort.

Allerdings wurden die alteingesessenen Deutschen 1945 /1946 vertrieben.

Szene 1:

Als Kinder liebten wir es, mitzufahren, wenn in der Erntezeit das Getreide zum Lagerhaus an der Bahnstation Mißlitz gefahren wurde. Dabei erzählte uns Vater etwas über die neuen Häuser in Socherl. Er erzählte, daß es Kolonistenhäuser seien und daß dort tschechische Bauern lebten und wirtschafteten, die nach 1918 angesiedelt wurden.

Szene 2:

Socherl KircheIm Frühjahr 1999 fuhr ich zusammen mit einem tschechischen Bekannten durch Socherl. Wir fragten dort eine Frau nach einer Adresse. Obwohl die Frage tschechisch gestellt wurde, antwortete sie auf deutsch, sicherlich wegen der deutschen Autonummer. Sie erzählte, daß sie zu den sogenannten Kolonistenfamilien gehöre, daß sie noch eine deutsche Schule besuchte. Sie erzählte weiter, daß sie immer ein gutes Verhältnis zu den alteingesessenen deutschen Bewohnern hatten. Sie hätten zwar ihre Kirtage an getrennten Tagen gefeiert, aber natürlich hätten sie auch am Kirtag der Deutschen und umgekehrt hätten die Deutschen am tschechischen Kirtag teilgenommen. Es sei eine gute Zeit gewesen.
Das Bild zeigt den alten Teil von Socherl mit der Kirche. foto 11.2000/g.h.

Szene 3:

Im tschechischen Fernsehen wurde eine Dokumentation der BBC gezeigt. Darin hat eine tschechische Frau unter Tränen berichtet, wie grausam die Vertreibung der tschechischen Bevölkerung aus den Sudetenländern durch die Deutschen gewesen sei, "... gnadenlos und mit Kolbenhieben...".

Soweit die "Szenen".

KolonistenhöfeDie Kolonisten wurden im Zuge der Bodenreform nach 1918, die zur Auflösung des Gutes in Socherl führte, dort angesiedelt. Sie erhielten den Grund vom einteigneten Grundbesitz des aufgelösten Gutes. Sie erhielten neu gebaute Hofstätten und eine neue Schule für ihre Kinder. Der Hausbau wurde mit Sicherheit durch den Staat gefördert , sonst würden die Häuser nicht so einheitlich aussehen. Es ist anzunehmen, daß während der Zugehörigkeit zum Deutschen Reich die Tschechische Schule "eingedeutscht" wurde.
Das Foto zeigt die Straße vom Mißlitzer Bahnhof Richtung Dorfmitte, mit typischen Kolonistenhöfen. Die Dächer waren ursprünglich mit Eternit eingedeckt, sind also schon erneuert worden. foto 11.2000 /g.h.

Tatsache aber ist, daß diese Menschen, nach dem Anschluß an das Deutsche Reich im Jahre 1938, weder enteignet, noch von ihrem relativ neuen Besitz vertrieben wurden.

Enteignet wurden sie erst 10 Jahre später von ihrem eigenen Staat.

Im persönlichen Gespräch erzählen die Menschen bereitwillig über ihre diesbezüglichen Erfahrungen. Sie haben aber immer noch Angst vor Repressalien, wenn ihre Namen genannt werden, oder ein Bericht so abgefaßt wird, daß ihre Identität erkannt werden könnte.

Ich verzichte deshalb darauf, Informationen wiederzugeben, die mir von dieser Seite bekannt gemacht wurden.

Inzwischen hat mir Herr Ernst H., ein Vertriebener aus Socherl, folgendes geschrieben:

"Die (tschechische) Frau, die Ihr in Socherl getroffen habt, hat Euch die volle Wahrheit gesagt, das kann ich nur bestätigen. Wir, die Bauern und Landwirte, haben uns auch mit Landmaschinen gegenseitig ausgeholfen, in der Zeit der CSR und auch nach 1938. Eine Vertreibung von Kolonisten und anderen Tschechen hat es nicht gegeben. Wir sind nach 1938 genau so gut wie vor 1938 ausgekommen, ich möchte sogar meinen, sogar noch besser. Wir haben uns öfters in der Mißlitzer Bahnhofsgaststätte mit bekannten Tschechen getroffen und Karten miteinander gespielt, alles hat sich reibungslos abgewickelt."

Ich glaube, es ist wichtig, über solche Tatsachen zu berichten.

In der tschechischen Übersetzung wird der heutige Name des Dorfes, "SUCHOHRDLY u Miroslav", verwendet, damit tschechische Leser der Seiten den Ort erkennen können.

November 2000, g.h.