Nachdem mein persönlicher Erlebnisbericht über Damitz als Beispiel der "organisierten" Enteignung und Vertreibung gelten kann, ist hier der Bericht von Herrn Robinek als Beispiel der wilden Vertreibung. Für mich bemerkenswert ist, daß sich auch die tschechischen Ortsbewohner aktiv an dieser Maßnahme beteiligt haben. Eine weitere Anmerkung finden sie, verehrter Leser, am Ende dieses Berichtes.
28.01.2002 g.h.
1945 - Vertreibung der Liliendorfer!
Der 20. Juni 1945 ist der Schicksalstag der Liliendorfer Ortsbevölkerung. Zeitig in der Früh, um ca. 5 Uhr, wurde vom tschechischen Ortstrommler Herm Hladky ausgetrommelt, daß sämtliche Deutschen in 2 Stunden das tschechische Hoheitsgebiet verlassen müssen. Weiters wurde bekanntgegeben, daß pro Person nicht mehr als 20 kg Geback mitzunehmen sind. Außerdem wurde mitgeteilt, daß die Häuser zu versperren sind und die Schlüssel beim Kommissar Herm Kloucek Franz abzugeben sind. Im Dorf herrschte große Unruhe. Die Leute konnten nicht glauben, was die Tschechen mit uns vorhatten. Nach überzogener Zeit kamen schon die tschech. "Partisanen" mit den gepflanzten Gewehren, Gummiknüppel und Hundepeitschen und trieben die Leute mit Gewalt aus den Häusern. Mancher alter Mann widersetzte sich der Gewalt. Darauf hin wurde er von den Tschechen geschlagen. Nun trieben uns die Tschechen zum Ortsende hinaus. Vor dem Haus des Kloucek mußten wir alle halt machen. Jeder Hausbesitzer mußte hinein. Dort war das Tribunal und man mußte die Hausschlüssel abgeben. Unter den anwesenden Partisanen, war auch Herr Hladky Leopold. Außer den Torschlüssel, mußte das Geld, die Sparbücher und der Schmuck auf den Tisch gelegt werden. Manche widersetzten sich, und gaben diese Sachen nicht her. Dann wurde mit 0hrfeigen und Gummiknüppel nachgeholfen. Als mein Vater heraus kam, sagte er den Leuten. Seid ruhig, es hat keinen Sinn einen Widerstand zu leisten. Nach diesen Repressalien zog die Ortsbevölkerung zum Friedhof. Am Ende d er Friedhofsmauer, an der Oberfrischauerstraße mußten wir Halt machen und warten bis der Letzte vom Ort heraus getrieben wurde. Es verging wieder eine lange Zeit beim Friedhof, währenddessen mancher Streit mit den Partisanen entstand. Und wenn's auch kracht, unbeweglich stehen! Nur reden, wenn man gefragt wird. Hielt man sich nicht daran, gab es Hiebe. Als 14-jähriger Junge hatte ich eine große Angst um meine Familie, weil der Großvater keine Ruhe gab. Unsere Familie hatte Glück, wir durften mit einem Wagen, der voll mit Hausrat war fahren. Dieser Wagen stand schon ca. 5 Tage vorher gepackt in der Scheune. Mein Vater bekam vom Herm Kloucek einen Wink, der bedeutete, daß er mit seiner Familie über die Grenze verschwinden soll, weil das Gerücht umging, alle deutschen Kinder sollten von den Russen verschleppt werden. Aber wir wollten die Heimat nicht verlassen. Daher hatten wir einen vollen Wagen, während die anderen in der kurzen Zeit, nur mit einen Handgepäck oder einen Schubkarren fahren mußten. Warum ließen uns die Tschechen trotzdem mit einem Wagen fahren? Weil mein Vater beim Kloucek viele Maurerarbeiten an seinen Haus gemacht und manchmal umsonst gearbeitet hatte. Herr Kloucek hat sich für diese Zeit revanchiert, und hat meinen Vater ein Begleitschreiben mitgegeben. Trotz dieses Schreiben, hatte mein Vater immer Schwierigkeiten, bis zur Grenze. Manche Tschechen wollten den Brief zerreißen. Nach dem langen Warten beim Friedhof, setzt sich die Kolonie in Bewegung getrieben von den Tschechen, wobei es diesen zu langsam ging. Die Frauen weinten, die Kinder brüllten und die alten Rentner hatten immer wieder einen Wortwechsel mit den Partisanen. Über Oberfroschau ist unsere Ortskolonie beim Zaiser-Zollhaus eingetroffen. Dort wurde unser armseliges Gepäck auf der Straße strengsten Kontrollen unterworfen. Von dem Wenigen ist noch die Hälfte geraubt worden. Dabei sind Schriftstücke, wichtige Dokumente, Sparkassenbücher u.s.w. abgenommen worden. Nach der Reihe mußten alle Leute ins Zollhaus hinein, wo es eine Leibesvisitation gab. Manche mußten sich im Nebenraum nackt ausziehen und ihr Allerletztes hergeben. Es wurde alles durchstöbert, heraus - und auseinander geschmissen; wo was gefunden wurde, mußte es abgegeben werden (beraubt). lch traute meinen Augen nicht, dort im Zollhaus war unsere Landsmännin Ludmilla Quarda (Steiner) besonders aktiv, sie kannte keinen Liliendorfer mehr. Sie gab auch Weisungen an den Partisanen weiter und hat sich bei diesen Repressalien besonders ausgezeichnet. Meiner Familie wurde etwas weniger weggenommen, da mein Vater immer den Begleitbrief vorwies. Aber eines werde ich nicht vergessen! Die Tschechen nahmen auch noch das letzte Essen, das meine Mutter für uns Kinder mitgenommen hat. Ein Tscheche nahm den Laib Brot, ging ins Zollhaus und durchschnitt mit einem Bajonett den Laib. Dann sagte er zu meiner Mutter: "Du deutsches Schwein, hast genug mit einen halben Laib", Als Jüngling stand ich daneben und hatte bei jeder Bewegung Angst. Mein Vater versteckte in der letzten Minute, sämtliche Papiere und die zugesteckten Sparbücher von der Frau Stephanie Chromy im Kummet der Kühe. Somit haben wir die Dukomente nach Osterreich gebracht. Endlich hatte auch meine Familie die Leibesuntersuchung hinter sich und wir konnten weiterfahren. Nach Hardegg hinunter war die Kolonne schon auseinander gezogen, da es beim Zollhaus in Zaisa ein stundenlanges Warten gab.
An der Hardegger-Grenze gab es noch einen Zwischenfall. Man wollte unsere Familie, nicht mit dem Wagen hinüber nach Hardegg fahren lassen. Mein Vater versprach, er ladet nur den Wagen ab und bringt das Fuhrwerk wieder zum tschech. Zollhaus zurück. Wir konnten über die Brücke fahren, durch Einwirkung eines Osterr. Zollbeamten. Mein Vater lud nicht ab, weil der österr. Zöllner gesagt hat, verschwind schnell mit dem Fuhrwerk. Wir kamen nicht weit, außer Hardegg an der Merkersdorferstraße holten uns tschech. Motorradfahrer ein. Ein Geschrei und ein Wortwechsel, aus Angst sprang ich vom Wagen in der Finsternis in den Straßengraben und bangte um mein Leben. Mein Vater mußte wieder mit dem Tschechen nach Hardegg hinunterfahren und vor dem Tor der damaligen Trafik wurde abgeladen. Die Tschechen nahmen das Fuhrwerk ober die Brücke mit und laut Bericht standen die Kühe mit dem Wagen am nächsten Tag vor unserem verschlossenen Haustor in Lilienfeld.
Dies war mein Leidensweg mit meiner Famillie
( Eine Dokumentation als Zeitzeuge von Erich Robinek aus Liliendorf.)
Nach unserer Vertreibung sind die tschechischen Goldgraber (Zlatokopci) in unser Dorf eingezogen und schauen jetzt aus unseren Fenstern heraus. Nach der Grenzöffnung (nach 44 Jahren) hat jeder Mensch gesehen, was diese Leute aus so einen schönen Dorf gemacht haben. Aber die Geschichte bleibt nicht stehen, siehe Europa und auf das Vaterserbe werden unsere Generationen nicht verzichten. Siehe jetzt die Tschechoslowakei; geteilt als Strafe; der Totengräber von der Monarchie.
KLOUCEK ALS KOMMISSAR - 1945
Als armseliger Schustermeister hat sich der Herr Kloucek im Leben durchgeschlagen. Er war beim Schuhflicken etwas billiger, als die Schusterei Machall. Sein Viehbestand waren ein paar Hühner, Hasen und einige Ziegen. Mit diesem Viehbestand schlug er sich durchs Leben. Die Burschenschaft hat ihn oft ausgelacht und verspottet. Nun kam das Jahr 1945. Als die Russen ins Land einzogen, hatte sich der Herr Kloucek selbst zum Kommissar der Tschechen ernannt. Er wußte genau wer in verspottet hat und wer ein Nazi war. Diese Leute ließ er von tschechischen Partisanen abführen. Sein bester Freund war der Knecht und Gelegenheitsarbeiter Leopold Hladky (ein Tscheche) Haus Nr. 6. Herr Hladky kannte die ganze Ortsbevölkerung genau und sorgte 1945 for die Schläge. Sämtliche Männer die noch zu Hause waren, bekamen im Haus des Kloucek Prügel. Dort wurden sie geohrfeigt, mit dem Gewehrkolben oder Gummiknittel bzw. mit der Hundepeitsche geschlagen und fortwährend wurden sie als deutsche Hunde und Schweine, Nazi, Mörder u.s.w. beschimpft. Fast kein Mann blieb von dieser brutalen Prozedur verschont, sie wurden in brutalster Weise geschlagen, bis Blut floß. Danach wurden sie mit Lastwagen nach Znaim transportiert ins Lager (KZ). Als die Männer in Znaim im Lager ankamen, hagelt es Schlage mit Gewehrkolben, Peitschen und Gummikabel auf sie nieder. Die tschechischen Posten, besonders die "ZIVILGARDE" benahmen sich wie Rasende. Was den Tschechen nach der Staatsgründung im Jahr 1919 nicht gelang, vollbrachten mit Hilfe der Allierten im Jahr 1945.
Nun liegt das geschilderte Geschehen schon fast 57 Jahre zurück. Trotz aller Vorwürfe, bin ich der Ansicht, daß wir, die Vertriebenen, das Geschehene individuell unterschiedlich, aber insgesamt verhältnismäßig gut verarbeitet haben. Das zeigt sich auch an der Haltung der vertriebenen Einwohner von Liliendorf. Sie spenden z.B. Geld zur Erhaltung der Kirche, ohne Bedingungen zu stellen. Ich denke, daß nach so langer Zeit auch die Tschechen sich dazu aufraffen sollten, ihre Geschichte und ihre Taten zu verarbeiten. Erst dann wird ein unverkrampftes Miteinander möglich sein. Ich denke daß wir uns das wünschen. Wenn wir also die Tschechen auffordern, auch ihren Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung zu leisten, ist das nicht unmoralisches.
g.h.
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